Giuseppe Tartini
Konzert in D-Dur, D.42
ed. Enrica Bojan
Bei der Vorbereitung dieser kritischen Ausgabe des Konzertes in D-dur D.42, mußten einige fundamentale Daten in Betracht gezogen werden, die das kritische and musikalische Studium von Tartinis Opus begrenzen, dem bis heute noch immer nicht in seiner Vollständigkeit Gerechtigkeit widerfahren ist.Die große Anzahl von Material und ihre Aufteilung in verschiedenen Bibliotheken und Stiftungen, die ebenso große Zahl von Manuskripten, die nicht in Tartinis Handschrift sind, erschweren philologische Studien und beeinträchtigen die Schaffung von einheitlichen Kriterien.1
Diese Ausgabe, die sich an die neuesten Studien und Methoden in musikologischen Untersuchungen hält hat die Absicht, dem Spieler einen kritischen, jedoch originalgetreuen Text auf musikalischer Basis zu geben; anderseits wird eine historiengetreue Wiedergabe angestrebt, um Aufführungen zu ermöglichen, die eng an das Original und die Stilistik des Komponisten angelehnt sind. Diese Ausgabe entstand durch die Kombination von zwei Quellen, im Katalog von Dounias erwähnt:2. der Handschrift in Padua, im Musikarchiv der Basilika Antoniana DVII 19023 und des Manuskripts der Konservatorium-Bibliothek Paris, Gran Fond ms. 1128/26, P. Folio. Keine anderen Versionen der Partitur wurden verwendet.4 Zweifellos von Kopistenhand, würden sie keine wirklichen Einblicke gegenüber der originalen Handschrift geben, die hier als Hauptquelle benützt wurde.
Die erste Quelle besteht aus einer Titelseite und sieben Blättern in Quarto-format mit je sechzehn Notenlinien-systemen pro Seite. Auf die Titelseite hat eine spätere Hand „Konzert von Tartini, Partitur Nr. 99" geschrieben. Die Zahl wurde per Hand zu 53 geändert und ist auch weiter oben auf der Seite gedruckt. Das Manuskript ist, wie immer bei Tartini, sauber und präzise. Erst auf dem siebenten Blatt finden wir übereinstimmende Korrekturen der Melodie; vier neue Takte ersetzen die ursprünglichen acht und sind auf die unteren Notenlinien geschrieben. Unter diese Takte schrieb Tartini «principal» und deutet auf die anderen Stimmen mit «primo» und «secondo». Diese Korrektur ist sehr deutlich und unmißverständlich. Die gleichen gestrichenen acht Takte finden sich etwas später wieder: T.180-187. Betrachtet man die thematische Symmetrie dieses dritten Satzes, erscheint es möglich, daß Tartini im BegriV war, einen Teil zu vergessen und diesen korrigierte, als er es merkte.
Die Orchesterzusammensetzung wird bei Tartini nicht vorgegeben und ist daher bei allen seinen Konzerten problematisch. Zahlreiche Studien zu diesem Thema belegen, daß die Zahl der Musiker den Umständen der Zeit und der Gelegenheit entsprechend variierte.5
Die Pariser Quelle ist Teil einer Sammlung von Konzerten, und besteht aus sieben Blättern mit je vierzehn Notenlinien-systemen. Die Überschrift des ersten Blattes trägt den einfachen Titel «Concerto del Sig.r Giuseppe Tartini» ohne weitere Angaben. Die saubere Handschrift - sicher eine Kopie - läßt auf eine spätere Herstellung schließen. Man findet keine Anzeichen einschneidender Korrekturen oder Tilgungen. Wie im Original ist die Orchesterzusammensetzung nicht vorgegeben; die Angaben Tutti, Solo und Soli entsprechen jedoch der ersten Quelle. Die vorliegende kritische Ausgabe hält sich getreu an das Original. Die Variationen der Pariser Quelle werden in den Anmerkungen nach dieser Einleitung wiedergegeben. Es wurden keine dynamischen Zeichen zugefügt, da sie für einen sorgfältigen Musiker klar sein sollten. Vorzeichen wurden rationalisiert; die Praxis des 18. Jahrhunderts, ein b zu benützen um ein # zu neutralisieren wurde modernisiert und durch ein Auflösungszeichen ersetzt. Kleinere Änderungen wurden stillschweigend vorgenommen, um ein modernes, graphisches Bild zu geben.
Die Ornamentik wurde ohne Angabe für Ausführungen vom Original transkribiert. Bis heute stellen die Regeln des 18. Jahrhunderts für Routineausführungen von Verzierungen und Kadenzen an den Höhepunkten ungelöste Probleme bei Tartini, obwohl der große Geiger Traité des agrémens für seine Schule schrieb.6
Die detaillierte Phrasierung und Artikulation wurde beibehalten; der Spieler könnte seine eigenen Interpretationen finden. Bei der Zusammensetzung des Orchesters sollte man bedenken, daß die Konzerte normalerweise in der Basilika del Santo zu feier-lichen Anlässen aufgeführt wurden.7 Wahrscheinlich übernahm Tartini meistens das Solo (seit 1721 war er „erster Geiger und Konzertmeister" in Padua). Dokumentarische Überlieferungen sowie Traité des agrémens bezeugen, daß ihm ein hervorragendes Orchester zur Verfügung stand, gewohnt, bei derartigen Aufführungen zu glänzen. Dadurch waren detaillierte musikalische Anmerkungen in der Partitur nicht nötig.8
Das Problem von Tartinis Orchesterzusammensetzung kann hier nicht gelöst werden. Anhand der Originalpartitur können allerdings die Stellen, die Tartini mit Tutti kennzeichnete, folgendermassen zugeordnet werden: die erste Notenlinie der Solo Geige und den ersten Geigen gemeinsam; die zweite Notenlinie, gekennzeichnet mit Soli einer obligaten Geige (oder einer Gruppe der zweiten Geigen); die dritte im Violaschlüssel der Viola (oder einer Gruppe von Violas); die letzte schließlich, im Baßschlüssel, dem Cello und Generalbaß. Die Stellen, die mit Solo und Soli und drei Notenlinien markiert sind, müssen sowohl erste und zweite Geigen als auch eine Sologeige haben, da alle Stimmen im Violinschlüssel geschrieben sind.9 Die Gegenüberstellung von Instrumentengruppen, die einen stilistischen Dialog von Klangintensitäten hervorrufen will, erinnert an die Strukturen der concerti grossi bei Corelli. Jedoch übernimmt die Sologeige bei Tartini einen größeren Teil; mit lebhaften Sequenzen und cantabile melodischen Themen, virtuos ausgeschmückt, besonders im dritten Satz.
Diese Betrachtungen gelten nicht für den zweiten Satz, der für drei Stimmen, markiert Solo und Soli, im Violinschlüssel geschrieben ist und von der Solo-, ersten und zweiten Geige ausgeführt werden. Der zweite Satz ist dem Stil von Corellis adagi ähnlich: die omnipresente cantabile höhere Stimme, unabhängig von der schlichten harmon-ischen Begleitung.10
Man weiß, daß es einen Generalbaß gab, aber es existieren keine geschriebenen Stimmen. Er scheint nicht in den Partituren auf, und wenn basso erwähnt wird, bezieht es sich auf die Stimme und nicht das Instrument. Kurzum, es gibt keine Spur eines Generalbasses. Die Forschung scheint die Benützung des Cembalos auszuschließen, jedoch bezeugen einige Dokumente außerhalb der Musikwissenschaft den Gebrauch der Orgel; besonders hinsichtlich der Sakralkonzerte für die Basilika del Santo, wo die Orgel dominierte.11 Allerdings herrscht Übereinstimmung, daß der Generalbaß die Tutti Stellen begleitete jedoch nicht die Soli.12 Daher sieht diese Ausgabe den Generalbaß als komplementär zur Cellostimme; die Ausführung bleibt der Diskretion der Musiker überlassen. Sie sollten allerdings im Auge behalten, daß Tartini in seinen späten Jahren den warmen, linearen Celloklang der harmonischen Fülle des Tasteninstruments vorzog.13
Padua, Jänner 1998 Enrica Bojan
Übersetzung Burgi Hartmann
1 Für einen Überblick des derzeitigen Wissensstandes über Tartinis Opus siehe F. NESBEDA, Catalogo delle composizioni, in M. SoWanopulo, Hg., Giuseppe Tartini nel terzo centenario della nascita, Trieste, Tip. Tergeste, 1992, S. 104-144. Petrobellis Buch: Giuseppe Tartini. Le fonti biograWche, Wien-London-Mailand, Universal Edition, 1968 ist immer ein nützliches Nachschlagwerk.
2 M. DOUNIAS, Die Violinkonzerte Giuseppe Tartinis, Zürich, Möseler Verlag, 1935 (Neuauflage Wolfenbüttel, 1966), S. 263. Die Konzerte sind nach Tonalität und nicht chronologisch katalogisiert. Dounias glaubt, dass das Konzert D.42 in die dritte Schaffensperiode Tartini's fällt, also nach 1750.
3 Das Manuskript wurde von Padre Giovanni Luisetto, Direktor der Biblioteca Antoniana, zur Verfügung gestellt, und wir danken ihm für seine freundliche Hilfe.
4 In dem zitierten Catalogo delle composizioni, bezieht sich Nesbeda auf andere Quellen mit verzierten Versionen des Hauptsatzes, die er in der Universitätsbibliothek von Berkely California auffand. Siehe F. NESBEDA, Catalogo…, S. 111.
5 Zu diesem Problem siehe P. PETROBELLI. Per l'edizione critica di un concerto tartiniano, in Tartini, le sue idee e il suo tempo, Lucca, LIM, 1992, S. 109-136; M. CANALE DEGRASSI, Destinazione e aspetti esecutivi dei concerti per violino di G. Tartini: contributi per un approfondimento, in A.Dunning, Hg., Intorno a Locatelli, Lucca, LIM, 1995, S. 151-173. Die Orchesterzusammensetzung wurde anderen Konzerten vergleichbar unter Berücksichtigung von Elementen außerhalb der Partitur wieder hergestellt.
6 Tartini ließ Traité des agrémens unveröffentlicht, und er erschien erstmals 1771 in Druck in Paris unter demselben Titel, übersetzt von P. Denis, in 1771. Das angebliche italienische Original hat den Titel: Regole per ben suonar il violino. Dazu siehe: verschiedene Autoren, Fonti tartiniane: alcune annotazioni und L. GRASSO CAPRIOLI, Lessico tecnico e strutture linguistiche di Tartini didatta nelle «Regole per ben suonar il violino», in A. Bombi und M.N. Massaro, Hg., Tartini. Il tempo e le opere , Bologna, il Mulino, 1994, S. 395-400 und S. 281-298. Die zweite Studie zitiert die wichtigsten Arbeiten jener Zeit über Ornamentik (von J.J. Quantz, C. Ph. E. Bach, L. Mozart) und hebt die Eigenarten von Tartinis System hervor. Hierzu möchten wir festhalten, daß der Triller (und der Mordant), wie damals üblich, gewöhnlich auf der höheren Anschlagnote begann und daß die Vorschlagsnote damals genauso wie heute ausgeführt wurde.
7 Siehe P. PETROBELLI, Tartini, le sue idee e il suo tempo, cit., S. 115-116; M. CANALE DEGRASSI, Destinazione e aspetti esecutivi..., cit., S. 152-163.
8 Neben den bereits erwähnten Werken von Petrobelli und von Canale, siehe auch E. FARINA, Pubblicare oggi le opere di Tartini, in Tartini. Il tempo e le opere, cit., S.401-408.
9 Für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Problem siehe P. PETROBELLI, Per l'edizione critica... cit., S. 111-136.
10 Zur Besiehung Tartini-Corelli siehe P. PETROBELLI, Tartini e Corelli, in Tartini, le sue idee e il suo tempo, cit., S. 137-147.
11 P. PETROBELLI, Per l'edizione critica.., cit., S. 134-135. Analysen, diese Frage endgültig zu beantworten, sind noch nicht vorhanden.
12 E. FARINA, Pubblicare oggi le opere di Tartini, cit., S. 404-405
13 E. FARINA, ibid., S. 408